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Joseph von Görres |
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Die christliche
Mystik |
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18B6A309 |
Abtödtungen und Mortificationen |
8.3.2016 |
Die
christliche Mystik von Joseph von Görres,
Professor der
Geschichte an der königlichen L. M. Universität in München.
Neue Auflage in fünf Bänden mit einem Sach- und Namenregister.
Regensburg. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz, Buch- und Kunstdruckerei. Act.=Ges. München=Regensburg.
Vorrede. München im Juli 1836. J. Görres.
Zweites Buch. Der religiöse und kirchliche Grund der Mystik.
III
. Die Reinigung und Discplin des mittleren Lebens
1
. Abtödtungen und Mortificationen
(Suso, Rosa von
Lima, Dominicus der Geharnischte, Franciscus de Cruce)
Seite 405. … Voll solcher Abtödtungen, vielfach wechselnd bei der in allen Gebieten
unerschöpflichen Erfindungskraft des Menschen, sind die Lebensberichte der Heiligen; es genügt, von vielen hier nur einige
anzuführen. Suso
erzählt uns umständlich in dem Berichte, der von seinem Leben uns aufbehalten
worden, in der naiven Sprache seiner Zeit, wie er seine gar lebendige Natur gekästigt habe, und welche List und Buße er aufgesucht, daß er den Leib möchte unterthänig
machen dem Geiste.
Ein härenes Hemd und eine eiserne Kette
trug er also lang, bis das Blut von ihm rann, und er beides ablegen mußte. Darauf ließ er sich ein Niederkleid machen;
anderthalb hundert spitze Messingnägel waren, die Spitzen einwärts gekehrt, an
Riemen gefügt; darin schlief er des Nachts, die Nächte waren im Winter nimmer
so lang, oder im Sommer so heiß, daß er davon
gelassen hätte. Dann hatte er sich ein hölzern Kreuz gemacht, das war in der
Länge als eines Mannes Spanne, dazu in ordentlicher Breite; darin hatte er
dreißig Nägel mit vorstehenden Spitzen eingeschlagen; das spannete
er auf seinen bloßen Rücken zwischen die Schultern auf das Fleisch, und trug es
also Tag und Nacht stätiglich acht Jahre; es machte
ihn bei jedem Bücken, oder wenn er zur Nachtzeit darauf zu liegen kam, blutig
und versehrt, und war so schmerzlich, daß anfangs
seine zarte Natur darob erschrack;
er durfte nur mit der Faust darauf schlagen, wenn er sich eine stärkere Disciplin geben wollte. Damit zur Nachtzeit er nicht unbewußt sich selber behelfen möge, hatte er lederne
Handschuhe mit Messingstiften um und um besetzen lassen; die wundeten ihn, wenn er irgend wohin
fuhr, um sich behülflich zu sein. Die märterliche Uebung trieb er wohl
sechzehn Jahre, bis seine Adern erkaltet und seine Natur gebrochen war; da
erschien ihm im Gesichte ein himmlisch Ingesinde und that ihm kund, daß es Gott nicht
länger von ihm haben wollte.
Sein Lager war eine alte hingeworfene Thüre, darauf hatte er eine dünne Matte aus Rohr gelegt;
die reichte ihm nur bis an die Knie; sein Haupt ruhte auf einem kleinen Kissen
von Erbsenstroh; wie er des Tages ging, so lag er des Nachts, nur daß er einen dicken Mantel um sich that,
der aber auch gar kurz war, so daß die Füße ihm
erfroren, wenn er sie ausstrecken wollte. Dazu kam nun noch das öftere scharfe Discipliniren
unter grimmigen Schlägen seiner Geißeln, daß sein
Blut den Leib abfloß; die große Enthaltsamkeit alles
Gemachs, in Wärmung, im Essen, und noch mehr im
Trinken, so daß all´ seine Natur nach Löschen des
unerträglichen Dursts rang, und er oft, wenn er zur Complet
also dürre im Chore stand, und man das Weihwasser nach Gewohnheit umgab, den
dürren Mund weit gegen den Sprengwedel öffnete, ob etwa ein Tropfen des Wassers
seine glühende Zunge ein wenig erkühle.
Heinrich Suso´s Leben und Schriften, herausgegeben von M. Diepenbrock. Regensb. 1829, p.
41-54.
Ihn übertraf beinahe noch die heilige Rosa von Lima in Erfindungen zur
eigenen Peinigung. Sie hatte, als sie den Habit
angenommen, sich eine Geißel aus Ketten gebildet, damit schlug sie sich ohne
Erbarmen; nur also die Streiche, die sie sich gab, austheilend,
daß sie immer einen anderen und anderen Theil ihres Leibes trafen. Als ihr diese Uebung untersagt wurde, legte sie die Kette dreifach und
enge um ihre Lenden; sie in einem Vorlegeschlosse mit den Enden
zusammenschließend, und den Schlüssel dann wegwerfend. Die Haut wurde bald
durchgerieben; die Kette schnitt ein in´s Fleisch, so
daß sie beinahe unsichtbar wurde, und drang endlich
bis zu den Nervensträngen der dortigen Gegend vor. Die Folge davon war, daß eines Nachts das allerheftigste Hüftweh die Jungfrau
überfiel, mit Schmerzen, die, da sie die Kette mit keiner Gewalt aufzuschließen
vermochte, sie um´s Leben zu bringen drohten. Lange
hatte sie sich umsonst damit bemüht; da begab sie sich in´s
Gebet, das selbst den Himmel eröffnet: sogleich sprang das Schloß
von selbst, die Kette ließ nach; aber sie mußte mit
Gewalt weggerissen werden, so daß die Haut hängen
blieb, und das Blut nachstürzte. Da die Wunde geheilt war, umgürtete sie sich
von Neuem; ihr Beichtvater nöthigte sie aber, ihm die
Kette auszuliefern. Ein Cilicium hatte sie angelegt,
aus Pferdehaar geflochten und bis zu den Knieen
hinunterreichend, das sie noch da und dort durch Spitzen verstärkt, viele Jahre
trug, bis es ihr gleichfalls genommen wurde.
Als sie aus den Kinderjahren ausgetreten,
hatte sie aus Zinn eine Krone sich gebildet, inwendig mit Spitzen versehen, die
sie geheim auf ihrem Haupte lange trug. Dann hatte sie für die zehn letzten
Jahre ihres Lebens eine andere sich verfertigen lassen; ein Silberstreifen,
inwendig mit neunundneunzig Stacheln in die Ordnungen nebeneinander besetzt und
zum Kreise zusammengelöthet. Die trug sie unter dem
Schleier verborgen; ein Stachel um den anderen verletzte, je nach den
Bewegungen, die sie machte, ihr Haupt; selbst das Sprechen wurde ihr
schmerzlich, mehr noch Husten oder Niesen. Wandelte sie irgend
eine Versuchung an, dann schlug sie ein paar Mal darauf und fand darin
eine Hilfe.
Zum Bette hatte sie sich auf eine Tafel
sieben knotige Holzstücke nebeneinander gelegt, die Zwischenräume aber mit
dreihundert scharfen Scherbenstücken angefüllt, deren Spitzen, gegen den Körper
gewendet, ihr solchen Schmerz verursachten, daß ihr,
der Heldenhaften auch der bloße Gedanke an dies schreckliche Lager, auf dem sie
fünfzehn Jahre lag, ein Grauen war. Erst in ihren letzten Lebensjahren, als
ihre Schwachheiten zugenommen, brachte sie die Nächte sitzend auf einem Sessel
und zitternd vor Kälte zu.
Vit.
S. Rosae p. 48-55.
Frühe schon im Beginne des eilften Jahrhunderts war man auf das Geißeln, als ein taugliches ascetisches
Mittel, verfallen. Die Geißelung gehörte einmal zum Cyclus
der Leiden des Herrn, und war dadurch mystisch geheiligt. Zugleich durch den
mit ihr verbundenen Blutverlust die unteren Lebenskräfte schwächend, und in den
mit ihrem Gebrauch verbundenen Schmerzen den höheren widerwärtig, mußte sie dem überstrengen Ernste der Zeit einerseits als
das kräftigste Mittel zur Bändigung des
Fleisches, andererseits als die anständigste Sühne für eigene Schuld, bald auch
in freiwilliger Uebernahme für fremde Vergehen
sich bieten. Mit Eifer von einem lebenskräftigen Geschlecht ergriffen, mußte die neue Disciplin sich
rasch bis zum äußersten Extrem entwickeln.
Schon zur Zeit Gregors VII. und Peter Damianis hat auf Fonte Avellana Dominicus, der
Geharnischte, diese Uebung bis zum äußersten
Punkt der Möglichkeiten getrieben. Seine Jugend war in der Einöde von Luceoli, unter der strengen Zucht des Johannes von Feretri, hingebracht worden, und er hatte später dem Abbte P. Damiani sich untergeben,
der in seinen Schriften der Lebensweise, die er geführt, Zeugniß
gegeben. Von dem eisernen Harnisch, den er viele Jahre auf bloßem Leibe
getragen, war ihm der Name des Geharnischten geworden, und er war bezeichnend
auch für sein innerlich Geistiges; denn unempfindlich gegen alle Schmerzen,
schien er wie von Erz gegossen. Wie das altdeutsche
Gesetz jeden Frevel am Anderen, nach vorbestimmten Maaße,
durch Verlust des Eigenthumes büßte, so sollten, im Principe gleicher Substitution, die in den Kirchenordnungen
verfügten Bußen durch Blut gelöst werden, und man war übereingekommen, daß tausend Geißelschläge einem Jahre Kirchenbuße
gleichgelten sollten. Während der Geißelung wurden die Psalmen abgebetet, so daß hundert Schläge auf jeden derselben fielen, alle
hundertundfünfzig also fünf Bußjahren gleichgalten, zwanzig solcher Psalter mit
dreimalhunderttausend Schlägen mithin einem Jahrhundert.
Dominicus hatte es nun
soweit gebracht, daß er in gewöhnlicher Zeit
alltäglich zwei Psalter innerlich betend, sie mit der Geißel begleitete, aber
zur Fastenzeit, mehr als einmal hundertjährige Buße übernehmend, täglich zum
mindesten drei Psalter leistete, und somit binnen sechs Tagen mit der hundertjährigen
Buße zu Stande kam, ja einmal sogar im Verlaufe der Fasten tausend Jahre
leistete. Dazu fügte er oft noch bei jedem Psalter tausend Kniebeugungen, und
so vermochte er auch sechsundzwanzig Mal nacheinander zwölf Psalmen mit in
Kreuzesform ausgestreckten Händen abzubeten. Es ging lange zu, bis es ihm
gelang, acht Psalter in einer Tagnacht unter der
Geißel in der beschriebenen Weise abzusingen; dann dauert es wieder eine
geraume Zeit, bis er noch den neunten hinzuzusetzen vermochte; zehn war das Aeußerste, was er zuletzt erreichte. Da hier nahe zwei
Geißelschläge auf die Sekunde fallen, was selbst bei einer gleichgültigen
Bewegung auf die Dauer zu leisten kaum möglich scheint, so müßte
man geneigt sein, die Annahme einer in so enger Zusammendrängung
gegen sich selbst gewendeten Thätigkeit für eine
Erfindung zu erklären, läge nicht das klare, unumwundene Zeugniß
eines glaubhaften Mannes, abgelegt im Angesichte seiner Zeitgenossen und vieler
Zeugen des Vorganges, uns vor Augen.
Befremdlich muß
es erscheinen, daß die Natur dieses Büßers sich, so
lange sie noch in ihrer Kraft gestanden, gegen eine mit solcher hartnäckigen
Beharrlichkeit so lange fortgesetzte Mißhandlung und
Zerfleischung nicht in Wuth empört, oder im Nachlaß in äußerster Erschöpfung zusmamengebrochen.
Erinnern wir uns aber, was früher in anderer obgleich verwandter Weise der Stylite geleistet; bedenken wir die erstaunenswerthe
Duldsamkeit, Fügsamkeit und den Umfang der menschlichen Natur, die, wenn
stufenweise und in allmäligem Vorschritt fortgeführt,
beinahe überall über jede angebliche Gränze hinauszugehen im Stande ist: dann würden wir uns
nicht gestatten, an ihr als unmöglich abzuweisen, was uns unglaublich scheint.
P. Damiani hat
uns berichtete, wie die Haut des Büßenden mohrengleich geschwärzt gewesen, was
darauf zu deuten scheint, daß sie wohl auch zuletzt
die Unempfindlichkeit der Bronze angenommen; aber über die moralische
Rückwirkung auf seinen inneren Menschen, was uns so vielfältig interessant sein
würde, hat er uns gänzlich im Dunkeln gelassen; doch scheint die Achtung, mit
der er von ihm spricht, zu beweisen, daß er von
dieser Seite Nichts zu verschweigen hatte. Die Sache selbst, die in ihrer Uebertriebenheit, in den Händen schwächerer Nachahmer, zu greuelhaften Verzerrungen hätte führen können, wie sie
später in den Flagellanten in die Breite ausgelaufen, zu einer Landplage
geworden, mußte bald vielfältigen Widerspruch
erwecken. Peter Cerebrosus besonders und der Cardinal Stephan, der früher auf Monte Cassino
gelebt, erhoben sich dagegen, machten auf die Nachtheile des Uebermaaßes aufmerksam und die Gefahren, die nie im Gefolge
jeder Uebertreibung fehlen, und bewogen zuletzt Peter
Damiani, daß er selbst zur
Mäßigung rieth, und in Fonte
Avellana das Uebermaaß als
unvernünftig einstellte.
Sct.
Petri Damiani Cardin. episcop. Ostiensis opera omnia, Paris 1743. T. I. p. 236.
Uebrigens hat es ihm der Carmelite Francus,
zwei Jahrhunderte später in der Panzerung seines Leibes, gleich gethan, und selbst eine Frau, die Tertiarierin Columba von Rieti, hatte den
Muth, es ihnen, eine Art von Amazone, nachzuthun.
Specul. Carmelitan. p. Dani. a Virg. Mar. §. 2795.
Aus dem gleichen Grunde übernommener Büßung für eigene und fremde Sünden, sah man noch im
siebzehnten Jahrhundert einen Carmeliter Laienbruder,
Franciscus de Cruce,
ein hölzerner Kreuz nach Palästina
und wieder zurück in die Heimath tragen. Am 16. März
1643 war er in seinem siebenundfünfzigsten Jahre von Vallisolet
in Spanien ausgezogen; sein Weg ging über Navarra und Bayonne nach Frankreich,
Savoyen, Genua, Mailand, Parma, Florenz nach Rom, wo er am 16. September
desselben Jahres ankam. Am 12. April des folgenden Jahres ging er, immer das
Kreuz auf der Schulter, nach Venedig, von da zu Schiffe nach Alexandria, und
über Joppe nach Jerusalem. Nachdem er am Thore sein „Herr Gott, dich loben
wir!“ abgesungen, betrat er die Stadt, besuchte mit großer Andacht alle
heiligen Orte, und pflanzte dann sein Kreuz auf dem Calvarienberge
an der Stätte, wo das rechte gestanden, auf,
und verweilte dort drei Stunden lang im Gebete und tiefen Betrachtungen.
Von da ging er, seine Last wieder auf die Schulter nehmend, zum Jordan, nach
Bethlehem, Nazareth, auf den Thabor und den Carmel, schiffte sich dann in Gesellschaft eines jüdischen
Rabbinen, der sich über den Anblick bekehrt, nach Triest ein, ging von da
wieder nach Rom, und dann über Lucca, Genua, Nizza
durch die Provence und Languedoc, und dann mitten im Winter über die Pyrenäen
nach Biscaya und St. Jakob in Galizien, durch Schnee
und beinahe unwegsame Gegenden, und kehrte von da nach Vallisolet
und Madrid zurück, wo das in Rom auf Befehl des Papstes eingesegnete Kreuz
unter großem Zulaufe des Volkes auf dem Altar der Carmelitenkirche
aufgestellt wurde.
Nicht ohne die allergrößte Mühe und
Beschwerde hatte er sein Unternehmen ausgeführt. Die damals schon keimende
Polizei war ihm überall auf den Fersen, und hatte, besonders in Frankreich, ihn
Monate lang in ihren Kerkern aufgehalten; Mahomedaner
und Juden thaten ihm allen Bedrang
an; selbst in Rom wollte man ihn nicht ziehen lassen, der Ungewöhnlichkeit der
Sache wegen; auch die mißtrauische venetianische Regierung hatte ihn lange aufgehalten; in der
Nähe von Jerusalem, als er die Stelle besuchte, wo Stephan gesteinigt worden,
hätte er beinahe dasselbe Schicksal erfahren. Er aber blieb immer tapfer und
guten Muthes; da auf der Rückkehr nach Triest ein
überaus heftiger Sturm die Reisenden überfallen, und Alle sich schon verloren
gegeben, als das Wetter den Mast gestürzt, hatte er statt desselben sein Kreuz
aufgepflanzt, und nachdem er unter demselben zu Gott um Rettung gefleht, hatte
sich sogleich die Luft aufgeheitert, die Winde hatten sich gestillt, und sie
konnten nun ihre Reise ohne weiteren Aufenthalt beendigen.
Speculum Carmelitanum p. P. Danielem a Virgine Maria T. II. P. II. p. 995-97.
*
So haben diese es gehalten, unzählige
Andere sind nicht gelinder mit ihrem Leib verfahren; sie sind ihm harte und
überharte Herren gewesen, und haben nicht abgelassen, bis sie seine Kraft
gebrochen und seine Macht gebunden hatten. Aber man darf nicht glauben, daß dies, selbst so extremen Mitteln, so leicht und ohne
viele Rückfälle gelinge; und diese
Rückfälle eben sind denen, die auf diesen Wegen gegangen, gleichfalls wieder
eine Kasteiung gewesen, stärker selbst als die Bußwerke,
die sie hervorgerufen.
Jene untere Seele, die, in die Mühle des
Leibes gesendet, dort den niederen Verrichtungen des Lebens obliegt, kann
nämlich durch das, was die Büßenden die Kreuzigung
des Fleisches nennen, wohl zuletzt theilweise
abgelöst, befreit, gereinigt und auf einen höheren Exponenten gebracht werden;
jedoch selten gefahrlos, nie, so lange das Leben
dauert, mit bleibender Sicherheit; nie auch in stetem ununterbrochenen
Vorschreiten: sondern im Gange allgemeiner Naturgesetze, unter wechselnden
Anwandlungen des Vorganges und des Rückganges, die nur bei der unerschütterlichsten Beharrlichkeit allmälig
ausschwankend, einigermaßen sich befestigen. Denn nach diesen Naturgesetzen
wird bei allem Organischen, im Verhältniß wie die
Energie irgend eines Organes sich gebrochen findet, die Beweglichkeit
desselben um so mehr gesteigert, mit
dieser aber der Umkreis, in dem es Reizen und Erregungen geöffnet ist,
erweitert sein; und diese, wenn sie endlich bis zu einem gewissen Grade sich
gehäuft, bewirken dann den Umschlag, wo eine fieberhafte Energie wieder an die Stelle der Entspannung tritt, und
so lange anhält, bis die angehäufte Erregbarkeit durch die übermäßig verstärkte
Erregung sich verzehrt.
Ueberdem hört die alte Schuld nimmer auf, ihre niederziehende
Gewalt gegen den Menschen auszuüben, und hemmt mit Macht den Flug. Jene dem
Leben, wie in anderer Weise der Materie, einwohnende Trägheit, die das eine wie das andere, in den einmal festgestellten
Verhältnissen zur Umgebung, zurückzuhalten strebt, thut
gleichfalls das Ihre; und im Verhältniß wie die
ansteigende Strebung mächtiger die Flügel schlägt, wird der Widerstand größer,
den sie ihr entgegensetzt, weil alles Gewicht, was zuvor auf breitem Fuße
aufsitzend, von der Erde und dem Irdischen getragen worden, jetzt von der
eigenen Selbstthätigkeit schwebend erhalten werden muß.
Wie daher der Geist dem Fleische sich mehr
und mehr entwindet, einigt dieses seine früher durch ihn vielfältig getheilte, gehemmte und gleichsam gesättigte Wucht, und
setzt sich nun von eigener Mitte aus, bis zu einem gewissen Punkte mit stets
wachsender Macht, jedem weiteren Versuche einer noch größeren Befreiung
ungestüm entgegen, ja schlingt das schon Befreite wieder zu sich hinab, es in
neue und stärkere Fesseln schlagend. Wie bei der entgegengesetzten Strebung,
die im Uebergewicht der thierischen
Natur, durch Laster den Mächten der Finsterniß entgegenführt, die scheidende Geisterwelt
durch die Stimme des Gewissens ruft und warnt, so hier die scheidende, und als Zuleiterin der Sünde mißhandelte
Natur, durch das, was jene Männer mit dem Namen Anfechtungen des Fleisches bezeichnet haben, darum, weil diese Einsprache eben so aus der Tiefe aufquillt, wie jenes
andere Orakel von der Höhe niederkommt. Und es stehen diese Anfechtungen nun in
einem bestimmten Bezuge zu jenen Bußübungen, ja sie werden durch diese
hervorgerufen, wie dessen das oft vorkommende Wälzen in Dörnern, oder das Untertauchen in kaltem Wasser zur Dämpfung
des Reizes Zeugniß geben.
·
Denn, auf´s Engste
verbunden und ineinander übergehend, wie Tod und Zeugung, sind auch Mord und Wollust, Blutvergießen und
orgiastischer Taumel, Geißeln und Sinnenreiz.
Und indem nun, wenn in der Beharrlichkeit
des Willens alle jene Bußübungen untereinander sich verketten, und ihnen gegenüber
eben so alle Anfechtungen in der Rückwirkung, und das
Leben dadurch in Ebbe und Fluth auf und nieder sich
bewegt, von einem steten Wechselfieber hin und hinüber geworfen; begreift sich
erst im Anblicke der Gefahr die Höhe des Muthes, der
dazu gehört, auf einem Lebenswege fortzugehen, der eben so leicht den
dämonischen Mächten wie Gott entgegenführt. Nur die festeste Ausdauer, hinschreitend in Demuth und
Bescheidenheit, kann in völliger Bändigung der Natur mit Hilfe von Oben zu
gutem Ziele kommen, da das Stehenbleiben
auf halbem Wege Verderben bringt.
Aber ruft diese Zeit in ihrem Geiste:
·
Wie! zu einer
solchen finstern, unsinnigen Lehre sollten wir uns bekennen, und durch solchen
trüben Ernst das lachende, fröhliche Leben sicherer Gegenwart uns verdunkeln
lassen, um auf gefahrdrohendem Wege eine unsichere Zukunft zu gewinnen!
Wie! der Erde, die uns Gott gegeben,
sollten wir entsagen, und uns dafür mit einer Anweisung auf Güter, die wir
nicht kennen, ausgestellt von unsichtbarer Hand, wieder gezogen auf ein unsichtbares Haus, in unsichtbarer Welt,
und nach Ablauf des Lebens erst zahlbar, abfinden lassen. Dürstend gleich
diesen Thoren, sollten wir unter heißem Sonnenbrande mitten unter kühlen Wässern gehen, und,
umgeben von allen Gütern, die die Erde in reichem Maaße
für uns spendet, hungern bis zur Erschöpfung; ja sogar den Tröster in aller Noth, den Schlaf von unserer sinkenden Augenwimper weisen,
damit ja keine Unterbrechung der ewigen Mühsal sei, und diese fort und fort wie
der Alp uns drücke. Zu all´ der Noth und Strenge, die
schon unabwendbar auf dem Leben drücken, sollten wir noch diese erdrückende
Last freiwillig übernommen fügen, die uns nicht angerechnet wird, weil wir
eigenwillig sie uns selber aufgeladen, die aber, der anderen Bürde hinzugelegt,
unter der gesammten Last der gedrückten Brust keinen
freien Athemzug ferner mehr gestattet. Diesen Leib,
ohnehin schon mit Krankheiten und Gebrechlichkeiten
überladen, ihn sollten wir noch überhin mit solchen Quälereien bis zum Tode
plagen; die frische Jugend in Ketten
legend, das edle Herzblut an den Boden gießen; das edelste aller Güter, die Gesundheit, die Gesundheit muthwillig vergeuden, um, nachdem wir selbst das sonst
ruhig hinströmende Leben durch unbehutsames Dämmen
zur Wildheit aufgeregt, und den Aufruhr in den Frieden hineingetragen; nichts
als Siechheit im gebrochenen, verwüsteten Körper zu
bereiten, und am Ende noch mit Recht den Vorwurf auf uns zu laden, daß wir langsamen Selbstmord geübt, indem wir uns zum Herrn
eines Lebens aufgeworfen, das nur zur Nutznießung uns anvertraut wurde.
Und eine so trübselige, freudenscheue
Lehre, wie sie in der unnatürlichen
Abgeschlossenheit kräftiger aber nachtbedeckter,
in sich selbst verlorner, zur Ungebühr fanatisirter Geister hervorgegangen, sollte die heitere,
milde, in Allem menschliche, bescheidene und geordnete Christenlehre sein; und
dieser Gott, der am rieselnden Blute sich erfreut, der die Geißelhiebe seiner
Verehrer zählt, und immer zu einem Mehreren noch antreibt und ermuntert; der da
will, daß der, den er zu seinem Gastmahl geladen, an
reich besetzter Tafel verschmachte; dessen Auge allein an den Zuckungen der Creatur sich weidet, die sich zu seinen Füßen windet: das
wäre wirklich der liebreiche, barmherzige Christengott; und das wäre die
leichte Bürde und das sanfte Joch, das er seinen Bekennern angekündet; und so
grausames Thun wäre wirklich der rechte Cultus, mit
dem die Religion der Liebe würdig gefeiert würde!
Ihr erwiedern dagegen die andern Menschenalter, die an solcher
Lebensweise sich erbaut: Mit Nichten ist Solches zu thun
euch aufgegeben, noch wird euch zugemuthet, durch
solche Ueberstrenge das blühende Leben auch zu wüsten
und zu entblättern! An die Erde lautet euere Sendung;
in irdische Verhältnisse seid ihr eingewiesen; die dazu erforderlichen Tugenden
habt ihr zu pflegen, die daran geknüpften Mühsale sind euch aufgeladen: dafür
ist auch alles Freudige euch zugetheilt; ihr mögt es
mit Maaß genießen, und euch an allem Reiz der schönen Welt ergötzen. Darum ist
euch der Leib gegeben, damit das Thun in euch mit dem Lassen um euch, und
wieder äußeres Thun mit innerem Leiden vermittelt sei; aber von seinen Kräften
belebt, ist er euch zum Diener, nicht zum Leibeigenen und zum Sklaven gewährt;
und mit dem Dienstbaren habt ihr nun mild zu handeln, nicht aber tyrannisch
gegen ihn zu wüthen. Wohl soll er des Herrn Male
tragen, aber Maaß und Bescheidenheit ist in Allem geboten; seine Tücken habt
ihr zu bändigen, aber das Nothwendige ihm zu
entziehen, kann euch nicht gestattet sein: denn Opfer aus dem Raube des Armen
mag Gott nimmer wohlgefallen. So haben wir es
gehalten, als wir über die Erde hingegangen, so wird es die Regel aller Zeiten
sein; sonst würde der irdische Haushalt nicht bestehen.
Anders ist es aber um die bestellt, von denen
jetzt die Rede geht; was sie, die Privilegirten der Gnade, gewirkt, kann unsere
Bewunderung auf sich ziehen: aber es kann nicht für sich selber die Regel des
Lebens werden; ja es muß, eben weil es als Ausnahme
des Maaßes und des harmonischen Verhaltens in allen
Vorkommnissen gegeben ist, diese Ordnung stärken und bekräftigen, statt sie
umzustoßen. Privilegirte nennen wir sie, weil sie
nicht in ihre Bestimmung eingedrungen, und des Rufs dazu erharrend,
sofort auch die Leitung von Oben herab erlangt. Man wird sich nicht einbilden, daß ihre Natur eine andere, als die gemeinmenschliche
gewesen; diese aber neigt von selber nicht auf solche Wege. Auf Lust gerichtet,
hat sie vor jeder Unlust Abscheu, und ihr schaudert vor solchen Qualen;
instinktartig erwehrt sie sich alles dessen, was alle ihre Gefühle so hart
verletzend sie angeht; und weist sie es nicht mit Anstrengung aller ihrer
Mittel ohne Umschweif ab, dann weiß sie tausend Wege, es zu umgehen.
Wird also dieser Naturschrei im Menschen
besiegt, dann muß es ein Stärkerer sein, der zu
diesem Sieg gestärkt; und dieser Selbe muß dem mit
sich streitenden Leben eine Sicherheit und Gewähr gegeben haben, auf die es
festen Glaubens vertrauend, den harten Kampf begonnen. Solcher aber kann nur der Geist von Oben, dieser hat sie daher in diese Kampfbahn
eingeführt. Er hat sie aber berufen, daß sie,
Jeglicher in seiner Zeit, lebendige Zeugen seien des großen Opfers, das im
Aufgange des neuen Lichtes, als tiefster Grund, allem Christenthum sich
unterlegt, zugleich aber auch Organe, in denen das gerettete Geschlecht thätlich seinen Dank ausspricht für die Wohlthat,
die ihm dadurch geworden. Das Opfer am
Altare ist die Fortsetzung jenes Opfers durch alle Jahrhunderte; wie der
Streit, den die Kirche fortdauernd zu streiten, Fortdauer des Kampfes, den der,
so Priester und Opfer zugleich gewesen, gestritten, und so sind denn diese Sichselbstopfernden, indem sie ihr Vorbild auf seinem
Leidensweg begleiten, Ministranten in jenem Opferdienst. Und wenn nun der,
dessen Kreuz sie auf sich genommen, sie von Oben durch Leiden und Entsagung
sich nachfolgen sieht, dann hat er nicht etwa Freude an dem Blute, das ihre
Fußstapfen röthet, er ergötzt sich nicht an den
Zuckungen einer gepeinigten, zerrissenen Natur: denn er ist kein Schiva,
dessen Zorn nur rauchendes Blut versöhnt; aber ihm gefällt die Ergebenheit
eines Herzens, das seiner selbst sich ganz und völlig ausgeleert, um des
Gegenstandes seiner Liebe ganz voll zu werden. Ihm gefällt jener Heldenmuth, der, indem er das Sichlassen wie eine That
vollbringt, ganzes Thun mit vollem Lassen ohne Vorbehalt verbindet, und
zugleich in höchster Energie zu ergreifen, und mit tiefster Resignation sich
hinzugeben weiß: wie ja auch ihr ehrend anerkennt, wenn Einer aus eurerer Mitte sein Leben setzt an eine Idee, ja sogar an
eine Leidenschaft, indem er sich dem Vaterlande, der Wissenschaft, einer Liebe,
oder auch nur einem Vorurtheile opfert. Wie sie aber also unter der speciellen Leitung der Vorsehung auf ihren Wegen gehen,
wollen sie so wenig zu Gegenständen der Bewunderung wie unbehutsamer
Nachahmung sich aufwerfen; sie haben vielmehr immer ernstlich gewarnt, solche
Wege ohne Leitstern zu betreten, und Jeden
auf die Bahn seiner eigensten Bestimmung einzuweisen sich bemüht.
(417) Darum, so geht denn ihr immerhin auf
den Wegen, die euch bereitet sind, aber laßt die
Anderen auf den ihrigen gewähren: sie haben vor Allem
die Harmonie mit Gott gesucht:
sicher, daß ihnen dann zuletzt in ihm auch die
aufgegebene Harmonie mit der Welt zufallen werde. Euere
Aufgabe ist, die rechte Harmonie mit der Welt aufzusuchen, denn im tiefsten
Grunde derselben ist die Harmonie mit Gott verborgen, und die wird euch dann
gefunden sein.
*
Inzwischen ist nicht zu läugnen,
daß, ist einmal
die umschreibende Linie natürlicher Lebenszustände unterbrochen, in dem
schrankenlosen Gebiete, das sich nun öffnet, das Maaß schwer zu finden, und die
Unterscheidung zwischen dem Treiben des höheren Geistes und dem eigenen
übertreibenden Eifer schwer zu finden sei. Der Besitz des Leibes ist keine
Allode; er hat die Natur des zu Lehen übertragenen Eigenthums;
nur über die Zinsen, und auch die nicht unbedingt, können wir verfügen: denn
auch er ist zu einer höheren Verklärung vorbestimmt. Manche haben aber, wohl
von großem, aber unbehutsamem Eifer hingerissen, mit
ihm nicht blos wie mit einem unbedingten Eigenthum
geschaltet, sondern es läßt sich bisweilen an, als
sei mitunter in einem Anfluge manichäischer Täuschung, die in ihm
ausschließlich den Grund alles Bösen sucht, auf seine Zerstörung hingearbeitet
worden: was grell und nackt bei manchen Secten des
Mittelalters hervorgetreten.
Darum hören wir wohl bisweilen den Mund
unzweifelhafter Heiligen sich selber strafen, daß
sie, des rechten Maaßes verfehlend, die Macht ihrer
Natur allzu sehr gebrochen, und dadurch des Werkzeuges für das thätige Leben sich selbst beraubt. Eine allgemeine Regel
ist indessen weder für die Uebung, noch auch für die Beurtheilung festzusetzen, da Alles von der Eigenthümlichkeit der Natur abhängt, und was die schwächere
schon zerrüttet, kaum hinreicht, um die stärkere nur einigermaßen zu bändigen.
Darüber ist besonders das Leben der Schwester
Francisca vom Sacramente,
der Zeitgenossin der heiligen Theresia, wie Michael Baptiste de Lanura es geschrieben, sehr unterrichtend. Ihr war ein wildes afrikanisches Naturell zum Loos
gefallen, und sie hatte sich, siebenzehn Jahre alt, in einem Liebeshandel mit
einem ihrer Verwandten, der Gluth desselben
hingegeben. Nichts Gelinderes, als die Erscheinung, die ihr, nachdem dies Leben
einige Zeit, wahrscheinlich unter vielen Gewissensvorwürfen, gedauert, eines
Tages wurde, konnte sie von ihm zurückbringen. In dunkler Hütte schien ihr, als
öffne sich die Erde vor ihren Augen bis zum Abgrund, und sie schaute mit
unaussprechlichem Entsetzen bis zum
Grunde der Hölle. (Anmerkung ETIKA: Eine
solche Gnade des barmherzigen Gottes könnte auch heute Milliarden Seelen
retten, aber es scheint, dass die Masse der Menschen einer solchen Wohlthat nicht wert ist, da sie Gott und Seine Gebote
verschmäht und ihn rund um die Uhr beleidigt.) Ueber ihren Schrecken waren nun alle weltlichen Gedanken
von ihr gewichen; sie ließ sich unter die barfüßigen Carmelitinnen in Soria aufnehmen, legte dort eine
allgemeine Beicht ab und begann ihr Noviziat. In ihm
hatte sie den allerheftigsten Streit zu streiten, sowohl mit ihrem Blute, wie mit den bösen Geistern, die ihr alle ihre Sünden
von frühester Jugend auf unaufhörlich vorhaltend (Anmerkung ETIKA: Dasselbe wird bei Milliarden Menschen im Jenseits
geschehen, und jeder Sünder wird sich wegen seiner Sünden entsetzen, denn sie
sind die Ursache seiner Bestrafung), sie beinahe zur Verzweiflung brachten.
Sie harrte inzwischen, von
anderen Gesichten wieder von Zeit zu Zeit getröstet,
tapfer aus und legte zuletzt ihre Profeß ab. Aber der
Streit war damit nicht zu seinem Ende gekommen, er schien vielmehr nun erst
recht anzuheben. Sie war durch ihre Anlage über die Maaßen
unfreundlich und zornig; das Geringste, was ihr unrecht vorkam, machte sie
unwillig, und wenn Jemand sie nur unfreundlich ansah, brauste sie gleich im
Zorne auf; sie wurde deswegen oft gestraft, fiel aber trotz aller Vorsätze
immer wieder zurück. Eben so unbändig waren alle ihre
anderen Leidenschaften und Neigungen; alle ihre Sinnen schienen unbezähmbar,
und ihre Natur widerstrebte auf´s Heftigste jeder
Sammlung in Andacht und irgend einem höheren Gefühle .
Sie aber beschloß, nicht eher abzulassen, bis sie den
Sieg davongetragen, und griff nun zu allen Mitteln der Ascese: steter Arbeit, unablässigem Gebete, Fasten, Bußwerken und
Kasteiungen; geißelte sich Stunden lang, und legte Cilicien
an, die ihren Leib überall verwundeten.
Der Herr erschien ihr und sagte: Du
gefällst mir wohl, indem du dich bemühst, vor meinem Angesichte zu wandeln; er
setzte aber hinzu: Du mußt aber nicht gedenken, daß du Solches mit Gewalt überkommen werdest; darum wandle
fortan in Lieblichkeit und gutem Gewissen vor mir, und es wird besser mit dir
werden! Es geschah, wie vorhergesagt; sie zermarterte sich, die Widerspenstigkeit
ihrer Natur zu bezwingen, und es wollte kaum gelingen: sie hatte bis in ihr
hohes Alter fortdauernd mit sich selbst zu schaffen und zu streiten. Einfältig
von Verstand, und unfähig, hohe Dinge zu begreifen, wurde sie von ihren
Mitschwestern verachtet; und weil unangenehm von Gestalt, in der Rede unlieblich, im Gange unbehutsam,
in ihrer Gemüthsart heftig, wurde sie überdem von Allen gescheut und geflohen. In allen Capiteln sah sie sich von ihrer Obrigkeit hart gestraft,
von den Weltlichen verkleinert, von ihren Beichtvätern ausgescholten, von ihrem
eigenen Gewissen angeklagt. Sie entschuldigte sich nie, klagte nur ihre Bosheit
heftiger an, und vertraute nur im Gebete unter Thränen
Gott ihr Leid, daß er ihr eine so üble Natur
verliehen. Sie erhielt dann die Antwort: Diese Natur kommt dir zu; ich aber
will, daß du mit dir selbst streitest: darum weine
nicht, sondern bessere dich! Wenn ihre Zornmüthigkeit
sie allzuweit hingerissen, erschien ihr der Herr mit
zürnendem Angesicht; sie erhielt scharfe Worte, sollte wohl auch mit Ruthen
gestrichen werden, so daß sie hernach bei seinem
Wiedererscheinen von ganzem Herzen erschrack, und er
sie mit den Worten: Ich komme im Frieden, beruhigen mußte.
Ihr übles Benehmen mit der Umgebung dauerte
indessen immerfort; als daher Provinzial zur Visitation des Klosters sich
eingefunden, klagten alle Schwestern, wie vom bösen Geiste angetrieben, sie auf´s Heftigste an; sie wurde als Zänkerin und Ruhestörerin
auf´s Bitterste ausgescholten; sieben Monate lang
sollte sie büßen, drei Monate von der Gemeinde abgesondert und des Sacramentes beraubt sein; ihr Beichtvater wurde ihr zudem
genommen, der bisher ihr einziger Trost gewesen. Bei dreimaliger Rückkehr des
Provinzials wiederholte sich das dreimal in immer längeren Fristen. Bis zum
Grunde ihres Herzens in dieser ihrer gänzlichen Hilflosigkeit betrübt, blieb
sie doch gefaßt und resignirt;
obgleich sie, zu all´ ihrer anderen Noth, in ihrer
Einsamkeit durch unablässige dämonische Erscheinungen geängstigt und mißhandelt wurde, die erst vier Jahre vor ihrem Tode von
ihr abließen. Um so heftiger
wurde aber nun der Reiz zur Lust und sinnlichen Begierlichkeit
in ihr; ihr Leib schien in allen seinen Gliedern wie in einem höllischen Feuer
entzündet; was sie vornehmen mochte, es half kein Streiten und Wehren. Noch in
ihrem zweiundsechzigsten Jahre war ihr, als ob sie in den Flammen eines
Glühofens stehe, wenn die Anfechtungen sie anwandelten, und sie ließen nicht ab
von ihr, bis sie, nachdem sie sechsundvierzig ganzer Jahre hindurch täglich
wiedergekehrt, ohne je ihrer Einstimmung Meister zu werden, wenige Tage vor
ihrem Tode, der 1629 im achtundsechzigsten Jahre ihres Alters erfolgte, endlich
von ihr wichen.
Ende des
Kapitels