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MARIA BUOL |
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Zwei Mütter |
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Aus dem St. Antoniusblatt, Brixen, September 1946, S. 170ff.
Der Kurat von Sprengenfeld
hatte ein goldenes Herz, aber leider eine schwere Zunge und das war schlimm,
besonders wenn ihn das Mitleid packte. Kam dann gar eine böse Nachricht vom
Kriege, die er den Angehörigen übermitteln mußte,
dann lag´s ihm wie Blei auf dem Herzen.
So wie heute war´s
ihm aber noch nie zu Mute gewesen. Der Weber Sepp war gefallen und er sollte es
der Mutter sagen. Und kam sich dabei vor wie ein armer Sünder, den man zum
Galgen führt.
Nicht als ob er sich vor einem
lauten Schmerzensausbruch gefürchtet hätte! O nein, die alte Weber Liese war
eine Stille. Drei erwachsene Kinder hatte sie schon begraben, der Sepp allein,
der Jüngste, war ihr geblieben. Sie hatten ganz mit und für einander gelebt,
Mutter und Sohn und nun...
Wie sollte es der arme Kurat nur
angreifen, seine Schreckensbotschaft zu melden? Wäre es nicht vielleicht am
klügsten, zur Liese ins Haus zu gehen? Das würde ihr auffallen, würde sie auf
den Gedanken bringen, es müsse etwas Besonderes vorgefallen sein.
Aber richtig, die Liese hatte sich
ja heute bei ihm angesagt. Um drei Uhr, hatte sie sagen lassen, würde sie
kommen. Und eben schlug´s drei Uhr vom Turme. Da
blieb nichts übrig als sie zu erwarten.
Der Kurat las die Unglücksmeldung
wieder und wieder durch. Wort für Wort las er sie, ob sich darin denn gar
nichts Tröstliches finde. Aber nein, nur dürrer Amtsstil!
"An
das Pfarramt Sprengenfeld. Melde hiermit, daß der Unterjäger Josef Ehrwalder
am 23.l.M. beim Sturm auf die Kote X. gefallen ist,
und ersuche, die Familie zu verständigen."
Kein Wort der Anerkennung für den
stillen, bescheidenen Helden, kein Tröpflein Trost
für die Mutter eines tadellosen Sohnes, nichts, nichts!
Mit großen, schweren Schritten
ging der Kurat in seinem Zimmer auf und nieder. Zwischen dem Fenster und einem
großen Kruzifix, das am Fenster gegenüber an der Wand hing. So oft er ans
Fenster kam, spähte er ängstlich auf die Dorfgasse hinab, ob die Liese sichtbar
werde; so oft er ans Kreuz herantrat, hob er flehend den Blick zum Gekreuzigten
und zur Schmerzensmutter, die dem Sohne zu Füßen stand.
Ein altes Schnitzwerk war´s; es stammte aus des Kuraten Heimat und er hatte schon
als Büblein davor gebetet. Ein Kunstwerk war es
sicher nicht, war auch viel zu plump und wuchtig für das kleine Widumzimmer.
Aber e i n e Schönheit hatte er doch immer daran gefunden und das waren die
Hände der Muttergottes. Sie hielt sie zusammengefaltet über dem Schwerte, das
ihre Brust durchbohrte, und es war, als wolle sie dieses Schwert, das ihr doch
so wehe tat, mit aller Kraft festhalten. Das hatte der Kurat aus dem alten
Holzbilde herausgefunden und hatte darüber auch schon manche Predigt gehalten.
Jetzt aber will ihm keine Predigt
einfallen, ja nicht einmal ein einziges liebes Wort für die Ärmste, der er
selber das Schwert ins Herz stoßen muß. Wie eiserne
Ringe liegt´s um seine Brust, um seine Kehle.
Da klopft es... Und schon steht
die alte Liese vor ihm.
"Küss die Hand, Herr
Kurat!" Er starrt sie an, als habe er sie gar nicht erwartet.
"Ah, Liese, du bist´s?" Das ist alles. Dann aber faßt
er sich und sagt, er habe aus dem Fenster nach ihr ausgeschaut.
Sie lächelt freundlich. Da habe er
sie freilich nicht kommen sehen, sagt sie. Sie sei nicht über die Straße
gekommen, sondern durch den Obstanger des Rambacherhofes.
Sie ist ja gegenwärtig bei der Rambacherin, um sie zu
warten. Das Neugeborene ist gar klein und schwach und die junge Mutter so
traurig. "Sie sorgt sich um den Mann im Schützengraben. Ich muß nur allweil trösten."
"Schön, schön", murmelt
der Kurat zerstreut.
Die Liese merkt, daß seine Gedanken anderswo sind. Sie möchte nicht stören,
versichert sie, habe nur ein paar Worte zu sagen. Eben wegen der Rambacherin. Ihr Vorleben sei freilich nicht tadellos
gewesen, aber nun sei sie brav, wie der Herr Kurat ja wisse. Und sie möchte in
den Frauenbund: ob der Herr Kurat es nicht gestatten wolle?
"Meinetwegen,
meinetwegen", murmelt er. Der Liese scheint, er gebe seine Einwilligung
nur ungern. Da meint sie, noch ein paar gute Worte über die Rambacherin
sagen zu müssen. Und dann will sie gehn.
Er aber wehrt ihr mit rascher Geberde.
"Einen Augenblick,
Liese!"
Verwundert wendet sie sich um. Ob
er vielleicht noch etwas wegen der neuen Frauenfahne zu sagen hat? Ob man mit
der Bestellung noch warten, ob man die alte noch behalten soll? Er murmelt
etwas Unverständliches, aber sie merkt doch, daß es
nicht gerade die Fahne ist, was ihn beschäftigt. So sonderbar, so düster hat
sie ihn noch nie gesehen.
"Herr Kurat, was ist
denn?"
Hilflos steht er vor ihr. Seine
Finger knittern an dem verhängnisvollen Papier herum, seine Lippen öffnen sich
und bringen doch kein Wort hervor, sein Atemholen klingt wie verhaltenes
Stöhnen.
"Was ist denn, Herr
Kurat?" fragt sie wieder. Ach, er darf sie nicht länger hinhalten, das Schreckliche muß heraus...
Da kommt ihm ein
Gedanke. Er tritt zum Kreuzbild und steckt das Blatt Papier der Muttergottes in
die Hände. Zwischen die Hände und das Schwert steckt er´s.
"Liese, die
Schmerzensmutter hat etwas für dich!"
Und dann wendet er
sich weg und geht. Sie sollen allein, sollen Aug´ in Auge bleiben, diese zwei
Mütter.
Draußen vor dem Zimmer geht er
eine Weile auf und nieder. Dann zieht er sich zurück in sein kleines
Pfarrarchiv und nimmt ein Buch von der Stelle, aber er weiß nicht, was für ein
Buch es ist. In sein Widumgärtlein geht er, doch es
liegt kein Sonnenschein auf den Beeten. Und endlich zieht es ihn zurück nach
seinem Zimmer, wo er so viele stille, traute Stunden verlebt hat in Studium und
Gebet, daß es ihm zu einem kleinen Heiligtum geworden
ist. Ein Heiligtum des Schmerzes ist es jetzt. Leise, ehrfürchtig tritt er ein.
Vor dem Kreuze und der
Schmerzensmutter liegt Liese auf den Knien. Sie hat den Brief an sich genommen,
sie hält ihn fest in ihren hagern Fingern und schluchzt leise. So ist sie, die
Weber Liese, tief und still!
Als die Männer des Dorfes zum
großen Kriege auszogen und die Weiber die Luft mit Jammergeschrei erfüllten, da
hat sie gesagt: "Gott sei Dank, dem Sepp ist´s
nicht gar so hart angekommen!" Und jetzt denkt sie vielleicht: "Mir ist´s schon hart, aber dem Sepp ist wohl."
Der Geistliche hält sich ruhig; er
glaubt, sie habe ihn nicht bemerkt. Aber schon hebt sie sich von den Knien und
blickt nach ihm.
Er will sich entschuldigen.
"Liese, ich hab´s nicht fürgebracht."
Leise erwidert sie: So ist´s am besten gewesen."
Und steht vor ihm und hält den
Brief an ihre Brust gepreßt, als sei er etwas
Kostbares, als habe sie ihn wirklich aus den Händen der Märtyrerkönigin
empfangen.
Der Blick des Priesters aber
wandert von einer Mutter zu andern. Von der armen Soldatenmutter zu der
königlichen Frau, die den göttlichen Sieger geboren hat. Beide sind ja Mütter
voll Schmerzen und Weh. Und beide halten, was ihnen weh tut, fest und mutig ans
Herz gepreßt. Die eine das geheimnisvolle Schwert,
das ihr geweissagt wurde, die andere das elende Blatt Papier, das, von kalter
Hand geschrieben, ihr den Tod ihres Einzigen meldet. Und der Priester fühlt, daß eine warme Welle von Trost und Kraft aus dem e i n e n
durchbohrten Mutterherzen in das andere fließt.
Maria
Buol
Franz
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